
Die Elektrifizierung der Bahn in Deutschland aus Sicht der Umweltplanung
Experteninterview mit Christoph Faas, Senior Advisor Umweltplanung, über Deutschlands Weg zum sauberen Zugverkehr
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu sein. Ein Baustein auf dem Weg dorthin ist die Elektrifizierung der Bahn. Denn elektrisch betriebene Züge fahren mit deutlich geringeren CO2-Emissionen.
Damit sich die hierfür notwendigen Baumaßnahmen nicht nachteilig auf die Umwelt auswirken, sind vielfältige Auflagen einzuhalten. Über den Weg zum sauberen Zugverkehr und wie AFRY die Deutsche Bahn umweltplanerisch unterstützt, haben wir mit unserem Experten Christoph Faas, Senior Advisor Umweltplanung, gesprochen.
Wie weit ist die Elektrifizierung der Bahn in Deutschland mittlerweile vorangeschritten und wie beurteilst Du die Entwicklung?
Die Deutsche Bahn hat hierzu folgende Zahlen veröffentlicht: 5.400 Bahnhöfe werden bereits mit Energie versorgt, rund 20.000 Züge werden täglich mit elektrischer Energie betrieben und das 110-kV-Bahnstromleitungsnetz ist bereits ca. 8.000 km lang.
Das hört sich von den Zahlen her schon sehr gewaltig an, liegt auch bei den Bahnhöfen bei 100 %, allerdings bei 40.000 Zügen täglich erst bei ca. 50 %.
Beim 33.422 km langen Schienennetzes sind auch erst ca. 60 % elektrifiziert, was aus meiner Sicht noch stark ausbaufähig ist.
Was sind die Hindernisse, vor denen die Bahn bei der Elektrifizierung steht?
Laut Netzzustandsbericht von 2022 wird der "altersbasierte Nachholbedarf" auf 103,4 Milliarden Euro beziffert. Besonders groß ist dieser mit 59,9 Milliarden Euro bei Brücken. Dies ist ein Beleg dafür, dass die Elektrifizierung nicht das einzige drängende Investitionsthema bei der Bahn ist. Immerhin möchte die DB InfraGO AG die infrastrukturseitigen Voraussetzungen dafür in Übereinstimmung mit der Elektrifizierungsstrategie des Bundes schaffen.
Welchen Einfluss hat die Elektrifizierung der Bahnstrecken auf die Umweltbilanz des Schienenverkehrs?
Laut DB-Vorstandsvorsitzendem Dr. Richard Lutz konnte die Bahn in den vergangenen 30 Jahren ihre CO₂-Emissionen um rund 70 % senken. Das ist eine signifikante Reduzierung, die zeigt, dass die bereits durchgeführten Maßnahmen wirken.

AFRY arbeitet im Bereich Umweltplanung eng mit der Deutschen Bahn zusammen, um immer mehr Streckenabschnitte zu elektrifizieren. Um was für Projekte handelt es sich dabei konkret?
Das sind zahlreiche Projekte für große Streckenabschnitte, zum Beispiel die bereits 2008 abgeschlossene Elektrifizierung der Strecke Hamburg-Lübeck-Travemünde, die 2022 in den elektrischen Betrieb übergegangene Ausbaustrecke Oldenburg-Wilhelmshaven sowie die Strecke Ulm-Lindau oder die Elektrifizierung der Strecke Nürnberg-Marktredwitz, für die am 07. Mai 2024 die Genehmigungsunterlagen beim Eisenbahnbundesamt eingereicht wurden. Derzeit ist zudem die Strecke Weimar-Gera-Gößnitz bei den Berliner Kolleginnen und Kollegen in der umweltplanerischen Genehmigungsplanung.
Für den Einsatz von Akkuzügen in Schleswig-Holstein, die emissionsfreies Fahren auch auf Strecken außerhalb der Ballungsräume ermöglichen, auf denen nicht durchgängig eine Oberleitung vorhanden ist, ist AFRY in allen Teilen Schleswig-Holsteins mit seinen acht Standorten des Bereichs Umwelt für die DB unterwegs.
Neben der Elektrifizierung setzt die Deutsche Bahn auch auf wasserstoffbetriebene Züge, um ihre Klimaziele zu erreichen. AFRY ist hier beim Umbau von Stationen und Haltepunkten zur Nutzung von Wasserstoff-betriebenen Zügen beteiligt, zum Beispiel auf der Strecke Bremen-Cuxhaven.
Sowohl die mit Wasserstoff betriebenen Züge als auch die Akkuzüge in Schleswig-Holstein haben sich in einem jeweils einjährigen Probebetrieb bewährt. Somit stellen sie individuelle, standortbezogene Sonderlösungen mit zukunftsträchtigen Innovationen dar, die dazu beitragen werden, dass die Deutsche Bahn ihr gestecktes Ziel erreicht, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu sein.
Punktuell erstellt AFRY auch Genehmigungsunterlagen für den Neubau und Umbau sowie die Umrüstung von Umrichtern, Gleichrichterwerken, elektronischen Stellwerken und Umspannwerken. Und damit der grüne Bahnstrom in allen Landesteilen verfügbar ist, unterstützt AFRY die DB Energie beim Aus- und Neubau ihres Stromnetzes, etwa bei den Bahnstromleitungen Nenndorf-Harburg, die aktuell im Bau sind, in Rethen-Wunstorf mit Baubeginn 2024 oder in Karlsfeld-München/Ost, die bereits fertiggestellt sind.

Vor welchen Herausforderungen stehen unsere Mitarbeitenden dabei und wie gehen sie diese an?
In den Genehmigungsverfahren sind unterschiedliche Gutachten zu erstellen, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten müssen. Hierfür sind inzwischen über 100 Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen tätig, unter anderem BiologInnen, LandschaftsplanerInnen, GeographInnen, GeoökologInnen, HydrologInnen, UmwelttechnikerInnen und ForstwissenschaftlerInnen.
Somit ist AFRY in der Lage, alle Kartierungen selbst durchzuführen und die Fachgutachten wie Artenschutzfachbeitrag, WRRL-Bericht, wassertechnische Berechnungen, Bodenschutzgutachten, Gutachten zum Klimaschutzgesetz, Landschaftsbildanalysen und GIS-basierte Raumnutzungsanalysen in hoher fachlicher Qualität für die Genehmigungsverfahren zu erstellen.
AFRY ist schon lange ein wichtiger Partner für die Deutsche Bahn. Was macht die erfolgreiche Zusammenarbeit aus?
Seit 2012 ist AFRY Rahmenvertragspartner der DB AG im Bereich der Umweltplanung. Zahlreiche kleine, große und sehr große Projekte, teilweise ohne, aber auch mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Verkehrsanlagenplanung, hat AFRY zusammen mit der Deutschen Bahn erfolgreich umgesetzt. Durch diese integrative Gesamtplanung erhält die Bahn die komplette Genehmigungsplanung abgestimmt aus einer Hand, ohne sich selbst um die umfangreichen Koordinationen zwischen den einzelnen Planern kümmern zu müssen.
Von der frühen Projektphase mit Faunistischen Planungsraumanalysen bzw. Scoping-Prozessen bis hin zur Landschaftspflegerischen Ausführungsplanung und der Umweltbauüberwachung begleiten die Expertenteams von AFRY die Projekte der Deutschen Bahn.
Quellenangaben:
Deutsche Bahn testet neue Technologien für grüne Bahnstromversorgung:
Netzausbau und Elektrifizierung für den Deutschlandtakt (dbinfrago.com)
Netzzustandsbericht DB InfraGo-AG-2022: https://www.dbinfrago.com/web/unternehmen/zielbild-infrastruktur/InfraG…
Die Deutsche Bahn wird 2040 klimaneutral
