Ripple in water

Umdenken im Sinne der Dekarbonisierung

Sind „Small Modular Reactors“ Teil der Lösung?

Der Energiesektor ist für drei Viertel der globalen Emissionen verantwortlich, weshalb die Dekarbonisierung in diesem Segment höchste Priorität hat (20% der weltweit verbrauchten Energie werden in Form von Strom verbraucht – die restlichen 80% entfällt direkt auf Brennstoffe, die für Heizung, Verkehr und Industrie eingesetzt werden). Die Vereinten Nationen streben bis 2030 eine Reduzierung der Emissionen um 45% und bis 2050 vollständige Klimaneutralität an, um den Temperaturanstieg einzudämmen. Dabei gehen aktuelle Prognosen davon aus, dass die Emissionen bis 2030 um weitere 14% ansteigen. Darüber hinaus hat der russisch-ukrainische Konflikt die Fragilität bestimmter Teile des globalen Energiesystems deutlich vor Augen geführt und zu schwankenden Energiepreisen geführt. Verständlicherweise liegt bei der Suche nach einer Lösung viel Aufmerksamkeit auf erneuerbaren Energien, insbesondere auf Wind- und Sonnenenergie. Aufgrund des fluktuierenden Energieertragsprofils durch die Abhängigkeit von den vorherrschenden Wetterbedingungen, gilt es hierbei jedoch einige Hürden zu überwinden, bevor die erneuerbaren Energien die fossile Stromerzeugung vollständig ersetzen können. Obwohl es technisch möglich ist, die Herausforderung mithilfe von Energiespeicherung und weiteren Flexibilisierungsmassnahmen zu bewältigen, wird zur Unterstützung eines klimaneutralen Stromnetzes auch weiterhin eine Grundlastversorgung mit einer geringen Menge an CO2 benötigt.

Atomkraft ist die zweitgrösste kohlenstoffarme Energiequelle und macht weltweit 10% des „grünen“ Stroms aus – bei den Industrienationen sogar 40%. Dennoch erhält die Technologie von einigen Seiten weiterhin viel negative Presse und wird vorrangig mit der Problematik der Altlasten, der einstigen Unfälle bei veralteten Anlagen und mit grossen Sicherheitsbedenken verknüpft.

Der Bau konventioneller (grosser) Kernkraftwerke ist kosten- und zeitintensiv, was ihre Finanzierung zu einer Herausforderung macht. Aus all diesen Gründen ist diese Technologie bis heute immer noch nicht weiterverbreitet.

Die Atomindustrie war somit dazu gezwungen umzudenken, sich an die steigende Nachfrage nach sauberer Energie anzupassen und die Herausforderungen ihrer Grossprojekte zu meistern.

Um diese Probleme anzugehen, wird nun eine neue Reaktorklasse entwickelt – der Small Modular Reactor (SMR):

  • Small: Grössenmässig machen SMRs nur einen Bruchteil herkömmlicher Kernkraftwerke aus – kleiner als ein Fussballfeld bei den kleinsten Ausführungen und bis zu 7 Fussballfelder bei den grössten der Entwürfe. Hierdurch sind sie vielseitig einsetzbar.
  • Modular: Systeme und Komponenten können werkseitig montiert und als Einheit zur Installation an einen Ort transportiert werden.
  • Reaktor: Nutzung von Brennstoff mit hoher Leistungsdichte bei der Kernspaltung (Spaltung eines Atoms zur Energieerzeugung), um Energie in Form von Elektrizität oder Wärme zu erzeugen.
Close up view of fuel rod bundle for a nuclear reactor
Brennstabbündel

Die kleinsten geplanten SMR-„Mikroreaktoren“ bieten eine Leistung von 1 MW, grössere dagegen bis zu 440 MW, was etwa einem Drittel herkömmlicher Grossreaktoren entspricht (im Allgemeinen ist ein SMR auf eine Leistung von unter 300 MW beschränkt, was allerdings von einigen Entwürfen überschritten wird, die dennoch als „klein“ eingestuft werden). Die Vielfalt an Ausführungen, die derzeit entwickelt werden, kann später eine flexible Lösung für die Dekarbonisierung in vielen Regionen und Marktsektoren bieten.

SMRs können nicht nur Strom und Wärme auf sichere und stabile Weise bereitstellen, sondern auch als Ergänzung für die verstärkt eingesetzten erneuerbarer Technologien dienen. Aufgrund der fluktuierenden Eigenschaften von Wind- und Solarenergie sind Energiespeicherlösungen oder andere Methoden für Netzstabilisierung und -management erforderlich. Kernreaktoren können, in gewissem Ausmass, ihre Leistung an die Nachfrage anpassen (dies bezeichnet man als „Lastfolgefähigkeit“), indem sie die Leistung bei Schwankungen der erneuerbaren Energien hochfahren und sie bei Produktionsspitzen der erneuerbaren Energiequellen herunterfahren, um so die Widerstandsfähigkeit des gesamten Energiesystems zu optimieren. Je nach Gesamtkonzept für Anlage und Hilfssystem können SMRs auch Strom für die Wasserstofferzeugung und/oder Meerwasserentsalzung liefern, was zusätzliche Flexibilität und Vorteile für eine breitere Dekarbonisierung bietet.

Path to decarbonisation

Eine SMR-Anlage hätte eine Fläche von rund einem Hundertstel eines Wind- oder Solarparks mit der gleichen installierten Leistung und könnte somit näher an dem Ort liegen, an dem die Energie benötigt wird. Die für Kernenergie charakteristische hohe Leistungsdichte kann besonders für abgelegene Gemeinden wie z. B. in Kanada oder Sibirien von Vorteil sein, die für Wärme und Strom hauptsächlich auf Dieselgeneratoren angewiesen sind und in denen SMRs Emissionen reduzieren sowie eine wirtschaftlichere Energielösung bieten könnten. Kompakte, lufttransportfähige Ausführungen mit einer jahrzehntelangen Lebensdauer werden derzeit für diesen Zweck entwickelt. Aktuell erprobt die NASA sogar einen zwei Meter hohen SMR für Weltraummissionen.

Viele westliche Anbieterprogramme planen für Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahrzehnts neuartige Einheiten und eine kommerzielle Nutzung, das erste kommerzielle SMR befindet sich allerdings schon im Bau – in China. An dieser Stelle sollte auch darauf hingewiesen werden, dass SMR-Anlagen bereits seit 65 Jahren in Militärschiffen und U-Booten unter anspruchsvollen Bedingungen im sicheren Einsatz sind.

Einige Herausforderungen gilt es noch zu bewältigen. Für den Übergang von grossen Kernkraftwerken zu SMRs sind für folgende Probleme innovative Lösungen gefragt:

  • Die Bauzeiten für konventionelle Kernkraftwerke betragen durchschnittlich 7,5 Jahre und die gesamten Projektlebenszyklen können vom ersten Entwurf bis zur Inbetriebnahme mehr als ein Jahrzehnt betragen. Verzögerungen sind bei Grossprojekten bekanntermassen üblich und führen zu explodierenden Kosten, wie zum Beispiel beim Kernkraftwerk Hinkley Point C in England, dessen Fertigstellung sich nach aktueller Planung um ein Jahrzehnt verzögert und das voraussichtlich 7 Milliarden Pfund über dem Budget liegen wird. SMRs haben ein werkseitiges Modulkonzept, was die Bauzeiten vor Ort stark verkürzt. Und die Tatsache, dass ein Entwurf gleich für eine Vielzahl von Anlagen genutzt werden kann, senkt das Risiko und minimiert Verzögerungen.
  • Die Stromgestehungskosten, die in der Regel in Dollar je Megawattstunde angegeben werden, sind ein Mass für die durchschnittlichen Kosten für die Stromerzeugung einer bestimmten Anlage im Laufe ihrer Lebensdauer, unter Berücksichtigung sämtlicher Kosten. Ein einzelner SMR könnte nicht mit den Stromgestehungskosten herkömmlicher Reaktoren mithalten. Die grösseren Reaktoren haben hier den Grössenvorteil und sind somit kostengünstiger. SMRs setzen daher stattdessen auf den „Serienvorteil“, also auf die Senkung der Kosten durch eine Massenproduktion. Sie könnten auch in stillgelegte fossile Kraftwerke eingebaut werden, um vorhandene Generator- und Übertragungseinrichtungen wiederzuverwenden, wodurch sich weitere Einsparungen erzielen liessen. Auch der Einbau an stillgelegten Kernkraftwerken ist denkbar.
  • Sicherheit hat bei jedem Energieprojekt immer die höchste Priorität, in der Atomindustrie gilt dies jedoch ganz besonders. SMR-Anlagen können von passiven Sicherheitssystemen profitieren, die zwar auch in modernen Grossreaktoren zu finden sind, die aber aufgrund ihrer Grösse bei SMR leichter zu implementieren sind. Dabei handelt es sich um Konstruktionsmerkmale und Sicherheitssysteme, die keine externe Stromversorgung, Überwachung oder menschlichen Eingriffe erfordern, um den sicheren Betrieb und die Abschaltung des Reaktors zu gewährleisten. Einige SMR-Konzepte basieren ausschliesslich auf passiver Sicherheit, wobei keine Bediener mehr erforderlich sind. SMRs können auch unterirdisch installiert werden und bieten dann zusätzlichen Schutz gegen Naturkatastrophen und gezielte Angriffe.
  • Die Zulassung und behördliche Genehmigung kerntechnischer Anlagen ist zeitaufwendig, allerdings beschäftigen sich derzeit gleich mehrere internationale Initiativen mit dem Informationsaustausch zwischen Aufsichtsbehörden, um das Verfahren nach Möglichkeit zu standardisieren. Hierdurch soll die internationale Einführung von Konzepten erleichtert und der Nutzen durch die modulare Massenproduktion erhöht werden.

Dank der bereits geplanten innovativen SMR-Konzepte, der Erkenntnisse aus den letzten 70 Jahren Kernenergie sowie der verbesserten Verarbeitungs- und Endlagerlösungen für Atommüll lässt sich festhalten, dass die Kerntechnik einen geeigneten Beitrag zur Dekarbonisierung des Energie- und Industriesektors leisten kann.

Bei intelligenter Anwendung und Bereitstellung können SMRs emissionsarme Energie liefern und eine grössere und schnellere Einführung erneuerbarer Technologien auf kostengünstige Weise unterstützen. Da also bereits verschiedene SMR-Konzepte weiterentwickelt werden und weltweit die erforderlichen gesetzlichen und behördlichen Verfahren durchlaufen, ist es nun an der Zeit, umzudenken und Kernenergie als Teil der Lösung anzunehmen.

Patrick Gasser - Principal

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Marcel Winter - VP and Head of BA Infrastructure Switzerland, Country Manager Switzerland

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